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Berliner Platz (03): Warum eine Berliner Weiße trinken?

Endlich: Noch herrschen zwar Temperaturen um den Nullpunkt, aber bei klarem Himmel und hellem Sonnenschein rumoren schon die ersten Anzeichen von Sommervorfreude in mir. Nicht mehr lange und ich werde wieder im Café am Neuen See sitzen oder sonst irgendwo draußen – morgens, zum Mittagessen oder bis tief in die Nacht hinein. Berlin im Sommer: Das ist nicht irgendeine Stadt zu irgendeiner Jahreszeit, nein, das steht für ein Lebensgefühl. Oder, weniger pathetisch, zumindest für eine Kombination von Zufriedenheit und Lebenslust. Wann dieser erste Frühlingstag kommen wird? Ein wenig Geduld werden wir noch haben müssen. Aber eines weiß ich gewiss: Wenn ich dann endlich an einem Tisch im Freien sitze, den verdammten Winterpulli in das oberste Regal meines Schrankes verbannt habe, mich die Sonne im Gesicht streichelt und die Kellnerin nach meiner Bestellung fragt, dann werde ich selbstbewusst sagen: Eine Berliner Weiße, bitte. Und auf ihre Gegenfrage, ob mit einem Schuss rot oder grün: Mit einem Schuss rot, bitte.

Kein einziger meiner Berliner Freunde konnte das bisher nachvollziehen. Wieso dieses säuerliche, naturtrübe Bier mit einem Schuss Waldmeister oder Himbeersirup? Erst vor kurzem habe ich erfahren, dass Berliner Weiße zur einen Hälfte aus Gersten- zur anderen aus Weizenmalz eingebraut wird, dass es zudem ein "obergäriges Bier" ist. All das jedoch spielt für meine Entscheidung keine Rolle. Es ist vielmehr gerade der Vorwurf, den ich jedes Mal von meiner Begleitung auf meine Bestellung zu hören bekomme: Die "Weiße mit Schuss" ist doch das Berliner Touristengetränk. Und ich sei einfach kein Tourist mehr.

Dabei ist die Erklärung doch so einfach, ein typisches »Ja, aber«: Ja, ich bin kein Tourist mehr. Ich lebe in dieser Stadt seit nun immerhin eineinhalb Jahren und fühle mich auch schon ganz heimisch. Aber: ich weiß ebenso auch, wie ich mich gefühlt habe damals, als ich noch ein Tourist war, gerade neu in die Stadt gekommen bin, mir die Stadt in einer Woche Schnelldurchlauf angeschaut habe, um einen kleinen Eindruck von Deutschlands Hauptstadt zu bekommen: Fantastisch! Beeindruckend! Atemberaubend! Der Potsdamer Platz: einst die größte Baustelle Europas, aber Berlin: das muss die größte Baustelle der Welt gewesen sein, was das Stadtbild, aber auch was die Menschen angeht.

Das erste Mal an der Siegessäule vorbeigefahren, der Reichstag, Unter den Linden, der Westen, der Osten – ich war wie in einer anderen Welt. Meine Heimatstadt Frankfurt ist nun auch nicht gerade unbedeutend und langweilig, aber Berlin... Mein erster Eindruck war: Die Hauptstadt Deutschlands gehört einfach nicht zu Deutschland! So beeindruckt war ich.

Und jetzt, nach eineinhalb Jahren schwebe ich nicht mehr ganz so auf der Berliner Wolke sieben. Der Winter trägt einen gehörigen Anteil Schuld daran, denn der ist in Berlin wirklich mies. Aber wie schon gesagt: Die ersten Frühlingsstrahlen haben mich bereits erreicht, und mein Blick ist nach vorne gerichtet. Bald werde ich sie dann ab und zu bestellen: Eine "Weiße mit Schuss rot" und als überwältigter Tourist feststellen: Berlin ist ein anderes Deutschland.

Tobias Händler

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