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Die Gerechten

»Die Gerechten« von Albert Camus ist, wie Sartres »Schmutzige Hände«, ein Stück über den politischen Mord und seine moralische Rechtfertigung. Eine sozialistische Gruppe im vorrevolutionären Russland plant ein Attentat auf Großfürst Sergej, den Onkel des Zaren. Janek, der die erste Bombe werfen soll, zögert beim Anblick der Kinder im Wagen des Großfürsten, und unter den Genossen entbrennt ein Streit: Kann man, muss man, darf man auf Kinder Rücksicht nehmen?

So weit, so zeitgemäß, ist doch der Terrorismus gegen Unschuldige nicht erst seit dem 11. September als Thema aktueller denn je. Der Text ist dennoch schwer zu inszenieren, denn »Die Gerechten« ist ein Thesenstück, das die sich widersprechenden Positionen der Revolutionäre verbal ans Publikum bringen soll. Die Handlung bleibt immer draußen. »Die Gerechten« ist nicht das richtige Stück für Armin Petras. Seine Regie lebt von der Aktion, gern verpoppt er Schiller, Ibsen, Hebbel, aktualisiert mit sicherer Hand Kleists »Zerbrochenen Krug« in den ehemaligen Ostblock hinein oder richtet so unterhaltsam wie gefühlvoll die Stücke seines schreibenden Alter Egos Fritz Kater ein. An Camus' »Gerechten« jedoch, das er an den Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierte, ist Armin Petras gescheitert.

In dem aus vielen klobigen Elementen zusammengeschusterten Sperrholz-Beton-Glas-Raum Natascha von Steigers stehen die Schauspieler genauso verloren herum wie die sinnlos in die Ecke gestapelten Haushaltsgeräte am rechten Bühnenrand. Text wird gesprochen, gespielt wird nicht viel, schon gar nicht mit der gigantomanischen Bühne, die so noch weniger passend wirkt. Im Laufe des Abends löst sich die Verkrampfung ein bisschen, doch für die Spielhandlungen ist Petras, der sonst in dieser Hinsicht vor Fantasie überschäumt, nicht viel eingefallen. Demonstratives Ficken auf der Vorderbühne hilft da nicht weiter und kann allenfalls als Schocker für das DT-Publikum verstanden werden, das sich aber kaum provozieren lässt. Wahrscheinlich gähnt es verstohlen.

Das Problem scheint weniger im Unvermögen als in der Lustlosigkeit des Regisseurs zu liegen. Oder in der Personenkonstellation. Ein Petras-Abend steht und fällt, schon in der Entstehung, mit den Schauspielern. Am besten gelingen Inszenierungen mit den Darstellern, mit denen der Regisseur bereits über Jahre zusammen gearbeitet hat, in seiner Off-Theater-Zeit und während des langen Weges durch die Provinzbühnen. Man kennt sich, man versteht sich. Da gelingt die schwierige Balance zwischen Slapstick und einem sehr ernsthaften, respektvollen Umgang mit den Figuren in der Regel, hier, im Deutschen Theater, funktioniert nichts davon.

Die grandios fehlbesetze Margit Bendokat, nicht in der Lage, Petras'sche Ideen umzusetzen, blinzelt mit unbeteiligtem Hundeblick ins Publikum und spricht in immergleichem Tonfall (Haltung: »Wie ging noch mal der Text?«), die Worte des Anführers Boris Annenkow, hier Borja Annenkowa. Was nötig wäre an Spannung und Rhythmus, zerschellt, so sehr sich die Kollegen auch bemühen, regelmäßig an Bendokats Verschlafenheit. Michael Schweighöfer (als Woinow), ihr energetisches Gegenteil, läuft gegen die Blockade dennoch zu guter Form auf und zeigt einen bis zum Tonfall gelungenen Aushilfs- Hübchen, was trotz des guten Spiels wie ein billiges Imitat wirkt, dann aber nachträglich mit einer längeren Castorf/Volksbühne- Betrachtung/Parodie/Hommage legitimiert werden soll.

Nachdem Petras schon ausgiebig und immerhin selbstironisch mit »Frank« hat telefonieren lassen (»Frank, ruf schnell zurück, dem fällt nichts mehr ein«), folgt ein Schweighöfer-Solo, in dem der Schauspieler berichtet, wie »Frank« ihn damals mitnehmen wollte an dieses »grooooooooße Haus am Lux-Dings-Platz«, aber er sei lieber hier geblieben, hihi. Das ist für Theaterleute recht amüsant, und das Normal-Publikum versteht die Anspielungen auch, aber inhaltlich sagt es wenig bis gar nichts. Armin Petras hat in dem Schauspieler den begnadeten Solisten erkannt, und lässt ihn die Rampensau zehn Minuten ausspielen – mit viel Wohlwollen kann man darin Woinows Angst-Anfall nach dem missglückten Attentat sehen.

Schweighöfer wird zur Ordnung gerufen: »Hey, Micha, spielste vielleicht auch mal wieder mit uns?«, aber die Schauspieler- sprechen-sich-mit-echten-Namen-an-Masche haben wir in jenem »grooooooooßen Haus« vor kurzem schon gesehen, und schon da war die Idee nicht neu, nur konsequenter ausgeführt. Armin Petras hätte es nicht nötig, sich selbst zum Castorf-Epigonen zu degradieren, nur weil er jetzt auch an Berlins großen Häusern inszeniert, bisher hatte er immer genug eigene Ideen, mögen sich auch die Inszenierungsstile, als Resultat einer ähnlichen Sozialisation bei einer selbstständigen Entwicklung beider Regisseure, ähneln.

Eine Übersetzung der doch immerhin sehr aktuellen Fragen des Textes ins Hier und Heute, sonst Petras' Spezialität, findet nicht statt. Natürlich gibt es kleine Anspielungen, natürlich sind die Kostüme von Annette Riedel nicht historisch, eher DDR- zeitgeschichtlich, aber das reicht nicht, um dem Text eine Aussage für heute zu entlocken. So bleibt er beliebig und bedeutungslos, der Abend versackt zwischen einigen netten Ideen, Langeweile und der Frage »Wozu der Aufwand?«.

Nach der Pause nährt sich überraschend die Hoffnung, die Inszenierung würde sich noch fangen: Janek, endlich doch noch zum Bombenwerfer geworden, sitzt inzwischen im Gefängnis, der Großteil der albernen Bühne ist glücklicherweise als Tatort abgesperrt, das Spiel konzentriert sich auf einen kleinen Ausschnitt. Nacheinander suchen der Polizeichef Skuratow und die Gattin des Ermordeten (Katrin Klein) den gefangenen Janek auf. Besonders im Gespräch mit Christine Schorns Skuratowa hat Thomas Lawinky, woher immer ein bisschen zu sehr Dorftrottel, die Gelegenheit, seine Figur ernst zu nehmen und ernst genommen zu werden.

Hier funktioniert der Text ohne viel Aktion, hier kommt zuletzt noch Spannung auf, hier sind die dichtesten, intensivsten Momente des Abends, die mit dem erneuten Auftauchen der peinlich- hilflosen Spaßguerillatruppe wieder verschenkt werden. Dabei sind übrigens auch Nele Rosetz als Dora und Thomas Schmidt als Stepan durchaus im Einzelnen überzeugend, es ist das Versagen der Regie, was den Ausschlag dafür gibt, dass die Schauspieler in der Luft hängen, weil sie nicht wissen, was sie tun und damit alles in Nichtigkeiten zerfasert. Petras zeigt als Regisseur seiner eigenen Stücke gern auf nicht gelungene Stellen im Text, statt sie zu überspielen. Als müsse es beschworen werden, so muss denn hier am Ende Margit Bendokat in den Ofen schauen und freudig einen Kuchen herausholen: »Ist aufgegangen!« – der Abend ist es nicht.

Nora Mansmann

Link:
Deutsches Theater Berlin

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