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Le Grand Macabre

Die Komische Oper zeigt die Berliner Erstaufführung von György Ligetis 1978 geschriebener, 1996 revidierter Oper "Le Grand Macabre" in der Regie des australischen Regisseurs Barrie Kosky und mit einem wunderbar aufgelegten Orchester unter der Leitung des scheidenden Kapellmeisters Matthias Foremny.

Nekrotzar, der selbsternannte "große Makabre", entsteigt einem Massengrab und verkündet den baldigen Weltuntergang, den zu beschleunigen er gewillt ist. Auf seinem Weg zur Residenz des Fürsten Go-Go von Breughelland findet er Gefolgsleute: den Weinabschmecker-Totengräber Piet vom Fass und den Astronomen Astradamors. Bei Hofe angekommen, wo das nahe Ende bereits mit einem Gelage gefeiert wird, hat Nekrotzar jedoch schnell so viel gesoffen, dass er den Weltuntergang nicht vollziehen kann und schließlich aufgeben muss – während alle anderen sich schon im Himmel glauben.

Man fällt oft übereinander her...
Foto: Komische Oper
Der musikalische, gerade der instrumentale Teil des Abends überzeugt am meisten, sowohl in der Ausführung als auch durch das Material: Ligetis Musik bietet Überraschungen die Masse, es gibt viel zu er-hören, musikalische Zitate von Monteverdi bis Beethoven sind zu entdecken, die sich in einer ganz eigenen, genuinen Musik verbergen. Ligeti setzt apokalyptisch flirrende Klangfelder an- und abschwellender Intensität, vertrackte Rhythmen, traditionelle Formen und einen Schuss Atonalität neben- und übereinander und bezieht auch Geräusche (etwa Autohupen) mit ein. Die Musik kommentiert – manchmal ironisch, manchmal bösartig, immer fantasievoll – das szenische Geschehen.

Bei der Fülle an instrumentaler Entfaltung kommt der Gesang ein bisschen zu kurz. Wohl auch, weil die Textverständlichkeit sehr zu wünschen übriglässt, fällt es schwer, mit dem wenig melodiösen vokalen Anteil der Musik warm zu werden. Am beeindruckendsten ist der Gesang dort, wo er sich in Ligetis sphärische Tonfelder einfügt, sodass er mit dem Klang der Instrumente verschwimmt, dann wieder aus ihren Reihen hervortritt, um gleich darauf wieder unterzutauchen. Unter den Solisten seien herausgehoben Akie Amou, die in einer Doppelrolle als Venus und als Chef der Geheimen Politischen Polizei (Gepopo) brilliert, und der Countertenor Matthias Koch, der den Fürsten Go-Go herrlich als bockiges Kind verkörpert.

Die Aufführung dauert nur etwa 100 pausenlose Minuten, eine Zeitspanne, in der musikalisch keine Langeweile aufkommt. Auch auf der Bühne gibt es genug zu sehen; in einem zunächst sehr reduzierten, dann immer prächtiger sich entfaltenden Bühnenbild (Ausstattung: Peter Corrigan) tummeln sich buntgewandete Gestalten, gelegentlich in präzis choreografierten Massenszenen, wenn der Chor als aufgebrachtes Volk über die Bühne stürmt. Barry Kosky brennt (nicht nur metaphorisch) ein Feuerwerk ab, das von Ideen und Assoziationsreichtum sprüht, und vor allem im zweiten Teil gelingen dem Regisseur viele schöne Bilder, wenn etwa Go-Gos marodierende Soldaten als die drei personalisierten monotheistischen Religionen bei der gemeinsamen Leichenfledderei auftauchen.

Sehr störend allerdings ist die Genital-Fixierung des Bühnengeschehens. Das Thema Sex ist durchaus in der Vorlage angelegt, es wäre allerdings zu fragen, ob es so weit in den Vordergrund gerückt werden muss – und auf diese Weise. Vor allem in der ersten Hälfte des Abends definiert sich nahezu jede Beziehung zwischen den handelnden Personen sexuell – und gleichzeitig als brutales Unterdrückungsverhältnis. Jeder lässt mindestens einmal die Hose runter, jede/r treibt's mit jedem, meist gleichgeschlechtlich, in den unterschiedlichsten Stellungen; der Fürst bekommt zum Geburtstag von seinen Ministern zwei Gummipenisse und anschließend einen ordentlichen Fick geschenkt... Nichts grundsätzlich gegen die Darstellung von Sex auf der Bühne, aber wenn das ständige Hoserunterlassen zum Selbstzweck wird, ist, was beim ersten und zweiten Mal vielleicht (?) noch witzig, originell oder wenigstens inhaltlich-dramaturgisch begründet war, schnell langweilig-pubertär, vorhersehbar und nur noch nervtötend: Ein einziger großer Weltuntergangsendlosfick.

Auch sonst greift Barrie Kosky tief ins Klo, es wird inbrünstig gekotzt und mit Blut geschmiert, bis am Ende wirklich eine Toilette auf der Bühne steht, aus deren Schüssel hellgrüner Durchfall quillt, in dem sich mehrere Darsteller ausgiebig suhlen dürfen. Natürlich sind drastische Bilder jeder Art auf der Bühne erlaubt, ja wünschenswert – Kunst muss nicht schön sein! – doch sie müssen nicht zum Selbstzweck verkommen oder nach der Devise "Sex sells" aufeinandergehäuft werden. Das hat die Musik, hat das Libretto nicht nötig.

Apropos Libretto: Zwar ist beim Gesang leider kaum ein Wort zu verstehen, doch das wenige, was im Parkett ankommt, zeugt von einem intelligent-humorvollen Text, der übrigens, wie auch die Musik, mit vielerlei Zitaten jongliert – allein die Namensgebung birgt eine Fülle von Wortspielen und Assoziationen. Die erste "Macabre"-Inszenierung in Berlin ist – obwohl die Kloschüssel der Vulgärität gelegentlich überläuft – ein unterhaltsamer, vor allem ein musikalisch hochwertiger Theaterabend – wenn auch nicht für empfindliche Opernfreunde geeignet.

Nora Mansmann

Link:
Komische Oper Berlin

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