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Herbert Grönemeyer: Mensch

In letzter Zeit ist viel gesagt und geschrieben worden über den Superstar der deutschen Musikszene. "Mensch" ist schließlich das erste Studioalbum von Herbert Grönemeyer nach dem Tod seiner Frau und seines Bruders innerhalb einer Woche im November 1998. Mancher spricht in diesem Zusammenhang von einem Comeback - doch war Grönemeyer je weg?

Privat zog er sich aus Berlin und dem gesamten Medienrummel um seine Person nach London zurück, wo er seitdem wohnt. Doch musikalisch wirkte zunächst noch sein 1998 kurz vor der Tragödie erschienenes Album "Bleibt alles anders" nach, dessen Texte teilweise seltsam prophetisch wirken. 1999 folgte die Anthologie POP2000: nichts weniger als der Versuch einer deutschen Popularmusik-Geschichte von 1950 bis heute. Im Jahr 2000 trat Grönemeyer erstmals nach seiner abgebrochenen Tour auf eine Konzertbühne. Auf der EXPO in Hannover gab er ein Konzert in Begleitung des NDR Pops Orchestra, dessen DVD-Mitschnitt zwar den Musiker Grönemeyer zeigt, jedoch kaum einen Blick in die Gefühlswelt zuläßt.

Herbert Grönemeyer
Doch nun steht das neue Album in den Regalen und Grönemeyer kann abseits der Medien und aller Spekulationen in seiner Musik über diese Gefühlswelt sprechen. Und er tut es ausführlich und ernst. Zusammen mit seinem Produzenten Alex Silva hatte er laut eigenen Angaben eine große Schreibblockade zu überwinden, ehe er sich an die Arbeit an diesem so wichtigen Album machen konnte. Doch davon ist nichts zu spüren: Die Texte sind aussagekräftiger denn je, Ausdruck von tiefem Schmerz, von Leere, aber auch voll liebevoller Erinnerung und Blicken in die Zukunft.

Schon die Single-Auskopplung "Mensch" bot einen ersten Einblick in die Ernsthaftigkeit, mit der sich Grönemeyer besonders dem Thema Abschied genähert hat. Philosophiert der Text sonst sehr allgemein über die Qualitäten, die einen Menschen ausmachen, so individuell wird der Blick im Refrain-Ende "du fehlst". Auch die Zeile "Es ist ok/es tut gleichmäßig weh" zeigt die persönliche Verarbeitung. Überhaupt scheint einem auf dem Album immer wieder Anna, die verstorbene Frau, die Grönemeyer 1978 am Schauspielhaus Bochum kennenlernte, zu begegnen: z.B. wenn er im Song "Dort und hier" in scheinbar kindlicher Naivität fragt "Ist jemand da, wenn dein Flügel bricht/der ihn für dich schient, der dich beschützt/der für dich wacht, dich auf Wolken trägt".

Auch die eigene Hilflosigkeit und Einsamkeit hält Grönemeyer fest. Der Song "Unbewohnt" schildert die innere Leere im Refrain "Es tropft ins Herz/der Kopf unmöbliert und hohl/.../fühl mich unbewohnt". Doch der wohl rührendste Moment des ganzen Albums ist "Der Weg". Diese Ballade ist wohl das bisher schönste und liebevollste, was Grönemeyer je geschaffen hat. Sie übertrifft "Halt mich" oder "Schmetterlinge im Eis" in ihrer Melancholie und ihrem warmen Abschiedsschmerz: "Du hast jeden Raum/mit Sonne geflutet/.../dein unbändiger Stolz/das Leben ist nicht fair". Bei vielen anderen verkäme ein solches Stück, zumal mit viel Streichersound unterlegt, zu purem Kitsch, bei Grönemeyer jedoch seufzen die Geigen umso inbrünstiger und ziehen einen wie in einen Sog hinein.

Die Streicher sind denn aber auch das einzige musikalische Mittel, was von seinen experimentellen Ausflügen auf dem Album "Bleibt alles anders" noch blieb. Sein fortgesetzter Gang nach innen ist musikalisch auch mit einer Erinnerung an alte Tugenden verbunden. Das Album klingt, als wäre er auf dem Weg nach "Bochum" gerade am "Chaos" vorbeigekommen. Vor allem die anderen Songs, die sich neben seiner persönlichen Verarbeitung den "üblichen" Grönemeyer-Themen wie deutscher Befindlichkeit und verletztem Liebhaberstolz widmen, gewinnen dadurch eine bestechende Energie.

Das ganze Album ist eine Mischung aus größter Melancholie und nur sehr verhaltenem Optimismus, doch Grönemeyer schafft es, eine seltsame Ausgewogenheit herzustellen, die das Album keinesfalls pessimistisch oder düster, sondern auch ein wenig heiter erscheinen lassen, in jedem Fall aber ist es großartig und das Beste, was dieser "Mensch" bisher gemacht hat.

Jens Lehmann

Links:
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