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Hannibal von Rotenburg

Gerade erst ist Hannibal Lecter aus unseren Kinos verschwunden, holt uns die Wirklichkeit in Form des Kannibalen von Rotenburg ein. Der absurd-perverse Unterschied zur Fiktion besteht darin, dass das Opfer mit seinem Schicksal einverstanden war. Damit ist man bei einer auch für juristische Laien verständlichen und nachvollziehbaren Problematik: spielt das Einverständnis des Opfers eine Rolle? Oder anders, juristischer ausgedrückt: Ist der Armin M. wegen Mordes oder Tötung auf Verlangen zu bestrafen?

Ausgangspunkt dabei muss das Strafgesetzbuch sein. Danach ist grundsätzlich derjenige, der einen anderen Menschen vorsätzlich tötet mit mindestens fünf Jahren zu bestrafen. Sofern noch bestimmte, in § 211 aufgezählte Merkmale hinzukommen, wird die Tat zum Mord und der Täter ist zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen. Im Falle des Kannibalen von Rotenburg würde als Mordmerkmal ein niedriger Beweggrund in Form der Mordlust vorliegen. Der Täter wollte sich durch die Tat sexuell befriedigen, es handelte sich also grundsätzlich um Mord.

Sofern jedoch die in § 216 geregelte Tötung auf Verlangen vorliegt, ist die Strafe weit geringer, zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Die Tötung auf Verlangen setzt voraus, dass der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt wurde. Dies war jedoch beim Kannibalen von Rotenburg nicht der Fall. Zum einen ist schon überaus fraglich, ob Bernd Michael B., das Opfer, tatsächlich ernstlich nach seinem Tode verlangte. Das Verlangen ist mehr als eine bloße Einwilligung. Es darf nicht einer augenblicklichen Stimmung entspringen. Laut Bild-Zeitung war Bernd Jürgen B. zwischenzeitlich jedoch von dem gemeinsamen Plan abgerückt. Erst als er sich von Armin M. schon wieder zum Bahnhof zurückbringen ließ, gelang es Armin M., sein Opfer umzustimmen. Von einem wirklich gefestigten Entschluss kann daher kaum ausgegangen werden. Darüber hinaus drängt es sich geradezu auf, dass Bernd Jürgen B. die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit in Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses fehlte. Denn es kann wohl nur mit einer tiefgreifenden psychischen Krankheit erklärt werden, wenn sich ein Mensch sein Glied abschneiden lässt, um es anschließend zu verspeisen, sich danach töten lässt, damit der Tötende ihn essen kann.

In den weitaus meisten Fällen des Selbsttötungsentschlusses, in etwa 95 Prozent, fehlt ohnehin die ausreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Selbst die meisten Selbstmörder leiden an einem sogenannten präsuizidalen Syndrom. Dies hat eine krankhafte Veränderung der Wahrnehmungsfähigkeit, des Werterlebens und der Fähigkeit der Wertverwirklichung zur Folge. Letztendlich ist es jedoch von vornherein nicht hundertprozentig ausgeschlossen, wenn auch wahrscheinlich, dass die Ernstlichkeit fehlte. Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dies nachzuweisen.

Jedoch liegt aus einem anderen, schwerwiegenderem Grund keine Tötung auf Verlangen vor. Der Täter muss nämlich durch das Todesverlangen des potenziellen Opfers zur Tat bestimmt worden sein. Das Verlangen muss der bestimmende und im Vordergrund stehende Tatantrieb sein. Armin M. handelte jedoch nicht auf den Opferwunsch hin, sondern weil ihm die Tat sexuelle Erregung und Befriedigung verschaffte. Von wem die Initiative ausging ist daher auch völlig unerheblich, da sich dadurch nichts am Motiv ändert. Auch aus dem Gedanken des § 216 folgt, dass dieser hier nicht anwendbar sein kann. Die Tötung auf Verlangen wird milder bestraft, weil so auf die gewaltige Konfliktsituation des Täters Rücksicht genommen werden soll. An eben dieser Konfliktsituation mangelt es hier aber.

Juristisch ist der Fall also eindeutig. Armin M. ist als Mörder zu bestrafen. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass dieses Ergebnis auch sonst wertungsmäßig voll überzeugt. Man könnte meinen, dass es überhaupt unzulässig wäre, jemanden zu bestrafen, der einen anderen mit dessen Einverständnis tötet. Schließlich ist auch der Selbstmord nicht strafbar. Man könnte argumentieren, dass es keinen Unterschied machen dürfe, ob sich der Lebensmüde selber tötet oder töten lässt. Letztendlich ist die gesetzliche Wertung aber doch richtig und überzeugend. Zum einen steht man vor der schon aufgezeigten Problematik, dass selbst in 95 Prozent aller Selbstmorde die Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt. Für einen außenstehenden ist es also kaum erkennbar, ob das Opfer es wirklich ernst meint. Man wird nur annehmen können, dass der Täter das Opfer ausreichend einschätzen kann, wenn eine große Nähe und Vertrautheit besteht oder bei einem objektiv unerträglichen Zustand wie einer schweren, unheilbaren Krankheit. Ein weiterer wichtiger Grund ist die liegt in der überragenden Bedeutung des Lebens. Sie findet auch in Artikel 2 II des Grundgesetzes ihre Berücksichtigung. Das Leben ist Grundvoraussetzung für die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit. Daraus folgt unter anderem das Verbot der Todesstrafe. Auch folgt daraus, dass niemand über das Leben eines anderen verfügen darf, egal ob mit oder ohne dessen Einwilligung. Den Staat trifft daher auch eine Pflicht, das Leben des einzelnen umfassend zu schützen. Diese Aufgabe sollen auch die Strafgesetze erfüllen.

Sowohl juristisch als auch moralisch kommt für den Kannibalen von Rotenburg daher nur eine Bestrafung wegen Mordes in Betracht.

Sebastian Creutz

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