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Mysterium Buffo

Wladimir Majakowskis Mysterium Buffo von 1917/18 ist ein politisches Agitationsstück par Excellence. In sechs Akten beschreibt der Sowjetdichter, der später wegen seiner Kritik am sozialistischen Bürokratismus in Ungnade fiel und sich 1930 das Leben nahm, anhand der biblischen Sintflutlegende den Weg der Menscheit zum Kommunismus.

Eine Gruppe unterschiedlicher Reisender durchläuft auf ihrer Arche Monarchie und bürgerliche Demokratie, macht Zwischenstation in der Hölle und im Himmel und erreicht schließlich das gelobten Land. In der Volksbühne hat Sebastian Hartmann diese Reise als imposanten Bilderbogen nacherzählt. Vom Originaltext des als Massenspektakel konzipierten Werkes ist kaum etwas geblieben, wohl keine schlechte Entscheidung, denn das in Versen geschriebene Agitationsstück ist heute an vielen Stellen in seiner eifernden Propaganda unfreiwillig komisch.

Wohl lässt Hartmann seine Schauspieler eine kurze Figurenexposition auf die durch den geschlossenen Eisernen Vorhang abgetrennte Vorderbühne schmettern, löst jedoch jede so etablierte Figur sofort wieder auf. Es gibt hier nur die Gruppe der Reisenden (u.a. Artemis Chalkidon, Werner Eng, Susanne Jansen, Thomas Lawinky, Peter René Lüdicke) und als einzige durchgängig beibehaltene Figur den kommentierenden Erzähler, Majakowski selbst (Hagen Oechel). Der Eiserne Vorhang - es ist nicht der echte, sondern ein aus Sperrholz nachgebauter - bricht auseinander, dahinter wabern in einem riesigen Krater Nebelschwaden aus Trockeneis: Die Sintflut kommt. Die Reisenden erklettern die Arche, einen UPS-Wagen, der mit den Rädern nach oben schräg vom Schnürboden herunterbaumelt (Bühne: Susanne Münzner). Der Abend hat in seiner Bildhaftigkeit viel vom Film, auch von Oper oder Tanz, er ist sehr genau choreografiert, wenn etwa am Ende alle Darsteller mit roten Fahnen aufmarschieren und diese, auf dem Rand des Kraters stehend, schwenken - ohne die „Internationale“ zu singen, wie bei Majakowski vorgegeben. Zu hören sind in der gespenstischen Stille nur die Geräusche des Fahnentoffes.

In einem Vorspruch zu seiner zweiten Version von Mysterium Buffo von 1920/21 hatte Majakowski selbst zukünftige Regisseure und Schauspieler zu einer Aktualisierung des Inhalts bei Beibehaltung der Form aufgerufen. Daran hat Sebastian Hartmann sich gehalten, er hat das vorliegende Material erfrischend frei gestaltet und durch gut gewählte, starke Fremdtexte und durch Improvisationen ergänzt. Hölle, Himmel, gelobtes Land, das alles ist erkennbar, jedoch in einer ganz eigenen Auffassung des Regisseurs und seines Ensembles in überwältigenden Bildern. Mit der Einführung der Figur des Autors hat Sebastian Hartmann seine vielschichtige Inszenierung um eine weitere Ebene ergänzt, denn die Figur des Majakowski übernimmt nicht nur die Kommentierung des Bühnengeschehens und tritt als „der Zukunftsmensch“ auf, der Abend ist auch ein Kommentar zu Majakowskis Leben, seinen Träumen und seinem Scheitern, wenn am Ende seine unglückliche Liebe Lilja Brik (Cordelia Wege), Mitauslöserin des Selbstmordes, erscheint.

Sebastian Hartmanns melancholisch-mystischer Bilderbogen nach Majakowski gibt keine endgültigen Antworten, die Bilder sind nicht konkret zu entschlüsseln. Was nach dem Verlassen des Theaters bleibt sind tiefe visuelle Eindrücke, sind Gefühle und Stimmungen, deren Bedeutung der Zuschauer für sich selbst erst finden muss. Der Abend ist ein Angebot an ein offenes, waches Publikum. Ein Angebot zum Selberdenken.

Nora Mansmann

Link:
Mysterium Buffo in der Volksbühne

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