Kontroll04.02.2005 "Ich weiß nicht, wo ich geboren wurde, außer dass das Schloss unendlich alt und unendlich grauenvoll war, voll dunkler Gänge und hoher Decken, an denen das Auge nur Spinnweben und Schatten wahrnehmen konnte. Ich muss Jahre an diesem Ort verbracht haben, aber ich habe kein Maß für die Zeit."
Das riesige Unter-Tage-Schienennetzwerk Budapests ist die älteste U-Bahn in Europa, ein gewaltiges, unterirdisches Labyrinth aus düsteren, zum teil heruntergekommenen Röhren, Tunneln, Schächten, Plattformen, Bahnsteigen und Hallen, durch das sich jeden Tag Millionen von Menschen schieben. Nachdem Luc Besson anno 1985 der Pariser Metro mit "Subway" ein Denkmal setzte, hat die U-Bahn der ungarischen Hauptstadt mit "Kontroll" einen nahezu ebenbürtigen filmischen Ehrenplatz bekommen. "Kontroll" beginnt mit einem Abstieg in diesen Neonlicht-durchflackerten Hades: Eine Punkerin, offenkundig in Folge übermäßigen Alkoholgenusses nicht mehr ganz Herr ihrer Sinne, gleitet über eine riesige Rolltreppenphalanx in die Unterwelt, verharrt auf einem Bahnsteig kurz nach einigen verdächtigen Geräuschen und Lichtwechseln (die dem Thriller-erfahrenen Zuschauer das Herannahen drohenden Unheils unmißverständlich klar machen), dann fährt ein Zug ein, eine schattenhafte Bewegung, und von einer Sekunde zur nächsten erinnert nur noch ein einsamer Stöckelschuh an die Existenz der jungen Frau.
Episodenhaft erzählt Nimród Antal seinen Film, wobei ihm größtenteils das Kunststück gelingt, narrativ von giftig-beißender Satire über beinharte Milieustudie von halbdokumentarischem Charakter bis zu völlig surrealistischen Horror-Sequenzen zu springen, ohne stilistisch den Bogen zu überspannen. Seine Wirkung schöpft "Kontroll" aus der visuellen Kraft seiner Bilder: Nimród Antal inszeniert das Budapester U-Bahn-System als urbanen Höllenschlund, als neon-beleuchtetes unterirdisches Metropolis mit Impressionen von abgrundtiefer Düsternis und dunkler Traumpoesie. Die (bislang außerhab Ungarns völlig unbekannten) Darsteller, allen voran Bulscú-Darsteller Sándor Csányi, sind großartig besetzt. Die bizarre, fragmentarisch erzählte Story des Films kommt teilweise ähnlich vertrackt und mysteriös daher wie bei David Lynch. Johannes Pietsch |