Nach der Vertrauensfrage

Was nun, Kanzler?

05.07.2005

Am vergangenen Freitag stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag die Vertrauensfrage – und verlor sie wunschgemäß. Nun wird es zunächst an Bundespräsident Horst Köhler und danach vermutlich abschließend vom Votum des Bundesverfassungsgerichts abhängen, ob es im Herbst tatsächlich Neuwahlen geben wird.

Unabhängig von den anstehenden Entscheidungen der Institutionen, die rot-grüne Koalition scheint sich überlebt zu haben. Jedenfalls deuten die politischen Geplänkel der letzten Tage und Wochen zwischen beiden Partnern darauf hin. Während etwa SPD-Chef Franz Müntefering kaum eine Gelegenheit ausließ, um sich von den Grünen zu distanzieren und die Stärke seiner eigenen Partei zu betonen, wurden die Grünen nicht müde, auf die Erfolge von sieben Jahren Koalition hinzuweisen.

Sollte es zu Neuwahlen – jetzt oder später – kommen, eine neue Bundesregierung steht vor gewaltigen Herausforderungen: Die Staatsfinanzen sind zu sanieren, Reformen beim Steuer-, Renten-, Gesundheits- und Bildungssystem sind unvermeidlich. Dass die Gewerkschaften das Ende des Sozialstaates beschwören, sollte es zu einem Regierungswechsel unter Führung von Unionskanzlerkandiatin Angela Merkel kommen, ist purer Populismus. Denn klar ist, dass es gerade das ungesunde Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben im Haushalt ist, das Deutschland an den Rand des Bankrotts treibt. Man mag verzweifelt auf einen baldigen Wirtschaftsaufschwung, der unbestritten dringend nötig wäre, hoffen – tiefgreifende Strukturreformen und der Abschied von unbezahlbar gewordenen sozialen Errungenschaften sind trotzdem unvermeidlich. Viel zu lange schon hat das Land über seine Verhältnisse gelebt.

Vor diesen Problemen kann keine Regierung die Augen verschließen. Allerdings tun es weite Teile der SPD-Linken dennoch, von der vermeintlich neuen "Linkspartei", die vorwiegend aus der alten PDS-Spitze samt Oskar Lafontaine als Farbtupfer besteht, ganz zu schweigen. Auch daran ist Gerhard Schröder letztlich gescheitert. Realitätsverweigerung war noch nie ein guter Ratgeber. Noch bleibt abzuwarten, mit welchen Rezepten CDU und CSU die Probleme meistern wollen. Zu wünschen ist in jedem Fall, Mut zum Realismus und zu energischen Reformschritten zu zeigen. Das gilt jetzt noch gleichermaßen für die rot-grüne Bundesregierung als auch für die Opposition von Union und FDP. Und ab Herbst vielleicht in der umgekehrten Konstellation.

Stefan Ewert